Ein paar Monate ist es gut gegangen. Der tägliche Wahnsinn hielt sich in Grenzen, daher ist es still in meinem Blog geworden. Alles war normal. Es waren Ferien. Der Weg zur KiTa meiner Tochter betrug stolze 200 Meter, innerhalb einer ruhigen 30er Zone. Alles sehr entspannt. Nun geht sie in einen städtischen Kindergarten. Am Schulzentrum. An einer Hauptstraße.
8:40 Uhr, ich erreiche das Schulzentrum. Zumindest kann ich die Einfahrt sehen, während ich 20 Meter vor einer Verkehrsinsel stehe die stärker bewandert ist als der Jakobsweg im Hochsommer. Genug Zeit mir mal wieder die Elite von morgen genauer anzuschauen. Wegen der Modetrends von heute hatte ich ja schon das ein oder andere Mal fiesen Sprechdurchfall, aber der vorbeiziehende Biggest Loser Casting Trupp liefert wieder genug Material für eine achtseitige Dokumentation über modische Verblendung.
Kleider machen Leute
Ihr habt es falsch verstanden. Mädels, eine High-Waist Jeans lässt nicht jeden aussehen wie ein Instagram-Model. Es gibt Dinge, die man nicht wegfiltern kann. Das echte Leben ist in 3D und nicht von schräg-links-oben. Ein Prachtexemplar, nennen wir sie mal Cindy, springt gerade graziös wie ein Wasserbüffel Richtung Verkehrsinsel und zwingt damit den anfahrenden VW Lupo am Anfang der Schlange zur Vollbremsung. Beinahe wären ihr Smartphone und Schoko-Donut runtergefallen, was sie etwas ungehalten reagieren lässt. Ich kann nicht hören was sie brüllt, aber ihre Hasstirade dauert gut 30 Sekunden. Währenddessen schaue ich mir das Leckermäulchen genauer an.
Die Haare bis zum Kinn und ein Pony bis zu den Augenbrauen. Offenbar durchlebt jede Frau die Pony-Phase mehrfach im Leben. „Die Haare umrahmen so das Gesicht“, habe ich mal beim Friseur aufgeschnappt. Bei Cindy sieht es so aus, als würde sie von unten durch eine Klobrille schauen. Ihr schlecht blondierter Pony erinnert mich an die vom Nikotin vergilbten, halbhohen Spitzenvorhänge in Omas Küche. Zum Abschluss zeigt sie dem Lupo-Fahrer wie schön unterschiedlich sie ihre beiden Mittelfinger lackiert hat und hüpft von dannen.
Der Waschbär
Nachdem sie das Feld geräumt hatte konnten die nächsten fünf Autos endlich auf das Gelände fahren. Ich mache einen direkten Schlenker nach links und fahre auf den Parkplatz des Kindergartens. In einem durch Flatterband abgetrennten Raucherbereich steht die nächste Quelle meiner Inspiration. Ein junger Erwachsener präsentiert mir seine eindrucksvoll behaarte Rückansicht. Ich kann nur das ausladende Maurerdekoltée und den Nacken sehen, aber es sah so aus, als würde ein Waschbär gerade verzweifelt versuchen aus seiner Hose zu fliehen. Ich überlege ob ich eine Münze einwerfen und mich dazu stellen soll, aber so viel Zeit hatte ich ja dann doch nicht. Nachdem ich mein Töchterchen abgeliefert habe, mache ich mich direkt wieder auf den Rückweg. Der Versuch vom Parkplatz zu fahren war vorerst hinfällig.
Angriff der Helikoptereltern, Teil 2
Versteht mich nicht falsch, es kann durchaus sein das es gute Gründe gibt 12 bis 16jährige „Kinder“ zur Schule zu fahren. Es kann auch sein, dass heutzutage jeder zweite(!) Teenager auf Grund einer Erkrankung aussieht wir Rainer Calmund mit Pickeln. Da sollte man vorsichtig sein und nicht direkt verurteilen. Aber da ich nicht daran glaube nehme ich mir raus mich erneut pauschal darüber aufzuregen. In Warteposition stehe ich also auf der Parkplatzauffahrt. Ich schaue in einen Mini-Van, gefahren von einer Mutter die allein mit Ihrem Gesichtsausdruck den geballten Hass auf die Welt manifestiert. Als mich ihre kalten Augen kurz anstarren, schmeiße ich ihr ein freundliches Lächeln entgegen. Via Gedankenübertragung sagt sie mir, dass ich mir mein Grinsen aus dem Gesicht schmieren und einen qualvollen Tod sterben soll.
Es entsteht eine kurze Lücke und ich kann endlich ausfahren, vorbei an der (Car)awane der Lebensfreude. Die Straße vor der Geländeausfahrt bildet mittlerweile eine Einheit mit dem Parkplatz. Links abbiegen wäre ein Kommandounternehmen. Da ich weder Schlafanzug noch Rasierer dabei habe, entscheide ich mich rechts abzubiegen und einen kleinen Umweg in Kauf zu nehmen.
Jetzt kann der Arbeitstag entspannt beginnen. Ich freue mich jetzt schon auf Montag. Da haben alle Protagonisten bestimmt besonders gute Laune. Challenge accepted!